Pfarrer Andrzej Kobiesa – der Seelsorger
Nach Dresden kam ich vor über 22 Jahren. Vor meiner Ankunft hier wusste ich nicht mal, dass es so etwas wie eine polnische Seelsorge in Ausland gibt. Ich wurde vom Kardinal Macharski gerufen und habe einen Auslandseinsatzplan vorgelegt bekommen. Das war eine schwere Entscheidung: Es war die DDR, niemand wusste, was ich hier zu erwarten habe. Ich bin „ins Dunkle“ gefahren. In meiner Delegation hieß es: „Seelsorge für polnische Arbeiter und Studenten“.
In den Koffer habe ich lediglich meine Soutane, ein Chorhemd, ein Brevier, einen Rosenkranz und ein paar persönliche Gegenstände eingepackt. Außerdem hatte ich ein paar Bücher mit, um mich auf die Predigte vorbereiten zu können.
Die Realität erwies sich als grau und derb. Ich konnte kein Deutsch. Mein Vorgänger hat mir nur noch gezeigt, wo und wie ich meine Arbeit zu erledigen habe und schon habe ich damit angefangen.
Der Mensch ist hier kontrolliert worden. DDR war nicht Polen: Es wurde mir klipp und klar gesagt, was ich tun darf. Ich durfte unter anderem keine Katechese halten; eine aktive, junge Menschen anziehende Seelsorge, konnte ich vergessen. Die Kirchen waren voll von Saisonarbeitern, die aus Polen hierher kamen: Die heiligen Messen wurden von jeweils etwa 1000 Menschen besucht. Die besten Ministranten waren die ZMS-Jungs (ZMS: Związek Młodzieży Socjalistycznej – Vereinigung Sozialistischer Jugend). Sie kamen zu den Jugendcamps in die Nähe von Dresden und sonntags besuchte das gesamte Feldlager die Kirche. Für die Deutschen war es ein Schock, für mich – eine große Freude.
Der traditionelle nachweihnachtliche Besuch sah in der DDR so aus, dass ich in ein Arbeiterhotel reinkam, ein-zwei Zimmer besuchte und vom Portier rausgeschmissen worden bin. Die Damen, die dem ältesten Gewerbe der Welt nachgingen, konnten allen Bewohnern ungehindert Besuche abstatten, doch ein Priester durfte nicht die polnischen Arbeiter aufsuchen.
Danach kann die Wiedervereinigung und alles brach zusammen. Es gab nichts und auch kein Mensch war da. Die Arbeiter mussten nach Polen zurück. Aber bald begann der Neuaufbau, es kamen neue Kontraktarbeiter und ganze Familien hierher. Und seitdem ist es eine standesgemäße Seelsorge. Es gibt allerdings so gut wie keine Arbeiter mehr, dafür aber die ansässig gewordenen Familien.
Obwohl man es in der DDR nicht durfte, habe ich Katechese gehalten. Wenn es sich die Eltern gewünscht haben, habe ich Religionsunterricht gegeben. Dabei wurde ich sehr genau kontrolliert. Die Sicherheitsdienste wussten genau, wohin und mit wem ich fahre. In den STASI-Akten gibt es auch Informationen darüber, wie viele Menschen die Messe besucht haben und worüber ich gesprochen habe. Nicht nur deutsche, sondern auch die polnischen Sicherheitsdienste hatten mich im Visier. Man musste sehr aufpassen, was man sagte, um nicht aus dem Land ausgewiesen zu werden.
Heute gehört zu meinen Pflichten das Zelebrieren der heiligen Messen in Dresden und in Bautzen sowie das Durchführen des üblichen religiösen Unterrichts – wie in jeder normalen Pfarrei. In den DDR-Zeiten konnten die Kinder aus deutsch-polnischen Familien ganz offiziell Polnisch lernen. Es gab die Alexander-Zawadzki-Schule, die von der DDR-Regierung gefördert wurde; dort gab es einmal pro Woche Unterricht auf Polnisch für Kinder der in Dresden lebenden Polen. Mit der Wiedervereinigung wurde auch das abgeschafft, es gab nichts. Mit der Zeit hat sich alles bei mir konzentriert, sowohl das Polnisch, als auch der Religionsunterricht. Jemand musste es doch machen. Und es wächst: Wir haben mit 10 Kindern angefangen, mittlerweile sind es 50. Die Polen fangen sowieso ihren Besuch hier meistens mit einem Besuch in der Kirche an; so ist die polnische Mentalität und das ist gut so!
Meine Probleme sind üblich für jeden Priester, auch in Polen: Ich will, dass die Leute die Kirche besuchen. Glücklicherweise ist die Kathedrale zentral gelegen, so dass alle wissen, wo die Hofkirche ist.
Im Dresdner Dekanat allein gibt es 1856 Personen mit polnischem Pass.
Mein Lieblingsort in Dresden? Die Kathedrale. Das ist der schönste Ort, an dem ich beten kann. Sie ist ständig geöffnet, man darf immer rein, um zu meditieren. Und der schönste Ort, wo ich immer meine Gäste hinfahre, ist Pillnitz.
Was mir hier fehlt, ist das polnische Essen. In den DDR-Zeiten war es das Informationsdefizit: Man hatte keinen Kontakt mit der Familie. Jetzt gibt es Radio, Satellitenfernsehen… die Kommunikation mit Polen ist ideal. Was aber fehlt, ist die sogenannte polnische Atmosphäre. Man fühlt sich doch fremd, auch wenn man hier schon seit über 20 Jahren wohnt. Ich fühle mich wie ein alter Dresdener, kenne die Stadt in- und auswendig, aber trotzdem werde ich das Gefühl nicht los, dass ich nicht zu Hause bin. Diese Empfindung lässt mich nicht los. Sobald ich die Grenze in Görlitz überschritten habe, fühle ich mich wie Zuhause: ich bin in Polen. Ähnliches sagen die anderen Polen, mit denen ich mich unterhalte. Irgendwo tief in dir sitzt diese Gewissheit, dass du nicht in Deiner Heimat bist. In diesen 22 Jahren hat mich niemand beschimpft. Nur einmal, als ich in der Neustadt gewohnt habe, hat mich ein Skinhead Polnisch sprechen hören und irgendwas beginnend mit „du polnischer…“ gesagt. Aber das war der einzige Vorfall, wo ich angegriffen wurde, weil ich Pole bin. Ich habe es ignoriert, es gibt wichtigere Sachen im Leben.
Die deutschen Gewohnheiten, die ich übernommen habe, sind das Nutzen vom Kalender und Telefon; das Notieren von Terminen und Verabreden der Treffen. In Polen gibt es eine gewisse Spontanität, man steigt ins Auto ein und fährt zu jemandem. Hier gibt es so was nicht, wenn du keinen Termin ausgemacht hast, wirst du nur in der Eingangstür empfangen.
Die Polen sollten Pünktlichkeit und Ordnung von den Deutschen lernen. Das sieht man besonders, wenn die heilige Messe beginnt. Bei der polnischen Messe sind schon fast alle da… wenn ich das Evangelium vorlese. Was die Deutschen von den Polen lernen sollten ist Warmherzlichkeit und Gastfreundlichkeit. Ich habe einmal eine deutsche Familie nach Polen mitgenommen, nach Krakau und um denen das richtige Land zu zeigen, und nicht nur den Marktplatz in Görlitz! Wir sind ganz spontan zu meinem Kollegen in die Beskiden, wo auch ich herkomme, gefahren. Es war gerade um die Mittagszeit und wir wurden sehr herzlich empfangen, die deutschen Gäste an den besten Plätzen am Tisch platziert, wo sie ein Mittagessen bekommen haben – ganz ohne vorhin angemeldet und geplant zu sein; es war ein Schock für die deutsche Familie. Und der Gastgeber hat sich richtig über unseren Besuch gefreut. Das sollen die Deutschen von den Polen lernen: Spontanität. Sie sind dafür fantastische Organisatoren, können einwandfrei Kanzleien und Büros verwalten. Das sollten die Polen lernen. Ordnung in der Sakristei. Oder z.B. Lieder singen. Hier gibt es Nummern im Gesangsbuch und jeder weiß, was er singen soll.
Es fällt mir schwer, Ratschläge zu erteilen. Jeder, der hierher kommt, muss sein Leben selber ordnen. Es muss ihm klar sein, dass er in ein fremdes Land fährt, wo er ein Gast ist. Da wir hier leben, müssen wir die Gesetze der Gastgeber respektieren. Und sie sollten im Gegenzug unsere akzeptieren, damit es zu einer Integration kommen kann. Damit sie kennenlernen, was in unserer Kultur schön und kostbar ist. Damit wir das Schöne übernehmen, was deren Kultur zu bieten hat.
Die katholische Kirche realisiert diesen Gedanken vorbildlich. In einer deutschen Kirche, mit deutschen Dienern, wird eine polnische heilige Messe gefeiert und es gibt keine Hindernisse. Es kommen sowohl die Deutschen als auch die Polen, und jeder betet in der eigenen Sprache.